"Zeitungszeugen" - bundesweite Beschlagnahmung

[ave]

http://www.welt.de/welt_print/articl...lagnahmen.html

http://www.zeit.de/news/artikel/2009/01/24/2714473.xml

Vielleicht haben schon einige gehört, dass seit heute bundesweit Ausgaben der historischen Zeitungsnachdrucke aus der NS-Zeit beschlagnahmt werden. Die Debatte darüber dauert schon seit Erscheinen an, weil die Rechte des Herausgebers von Zeitungen wie "Der Angriff", in bayrischem Staatsbesitz sind. Abgesehen davon gibt es in der aktuellen Ausgabe (seit 2 Tagen erhältlich) einen Nachdruck eines NSDAP-Hetzplakats zum Reichstagsbrand, auf dem ein Hakenkreuz enthalten ist. Das lässt natürlich sämtliche Gegenstimmen hochkochen, die dementsprechend Zeitungszeugen als Quelle für Wohnungsschmuck von Neonazis am liebsten verboten sähen.

Wie ist eure Meinung dazu? Ich habe mir bisher beide Ausgaben jeweils am Erscheinungstag gekauft und empfinde es als bigotte Heuchlerei, politische Aufklärung mit authentischem Material verbieten zu wollen.
Das Plakat mag 1:1 alter Nazi-Propaganda gleichen, sobald man das kleine Branding am oberen Rand abgeschnitten hat, aber man gebe mal bestimmte Suchbegriffe bei Google ein. Da gibt es Millionen von "Kopiervorlagen", wie Kritiker die Zeitungszeugen-Poster bezeichnen. Es ist einfach unglaublich, dass in dem Land, wo Menschen für kontroverse Presse erschossen wurden, eine Zeitung verboten wird, die genau diese Zeit noch einmal politisch beleuchten will. Und in allen anderen Ländern klappt es, historische Nachdrucke vom Albertas Ltd. Verlag gab es schon in ganz Europa. Doch das vielleicht wichtigste Projekt über das tiefschürfendste Ereignis Europas im 20. Jhd. soll beschlagnahmt werden.
Armes Deutschland, mal ehrlich.

[Makai]

Geht es noch typischer für Deutschland? NEIN!
Hat der Krieg Spuren hinterlassen, die auch heute noch den Alltag beeinflussen? JA!
Wird sich was ändern, wenn die Baby-Boomer-Generation ausgestorben ist? VIELLEICHT!

Anstatt das ganze Mal richtig aufzuarbeiten, wirds beschlagnahmt. SEHR SEHR ARMES DEUTSCHLAND!! Sie wollen es einfach unter den Tisch kehren...unfassbar!

[N3M3S1S]

Wurden die Zeitungen denn dann auch öffentlich verbrannt?

[ave]

Also heute Nachmittag war im Supermarkt noch ein ganzer Stapel von der zweiten Ausgabe (die erste ist inzwischen ausverkauft lt. Herausgeber). Scheint ja sehr schleppend zu laufen, unser "Durchgreifen gegen den Bolsch- erm, Nazismus"^^

[N3M3S1S]

Es ist teilweise echt schwierig sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Das wirft nicht selten juristische Fragen auf. Natürlich ist man an den Originaldokumenten interessiert, aber keine möchte sich deswegen in irgendeiner Form strafbar machen. Es ist wohl nicht so weit her mit dem Recht auf Bildung.

[CIT]

Hab die Zeitschriften nicht gelesen, also kann nicht sagen wie die Propaganda da aufbereitet ist/wie sie kontextualisiert wird, und ob das Vorgehen des Staates hier gerechtfertigt ist. Dass es dem bayerischen Staat allerdings auch um den Schutz Urheberrechten geht, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack - wenn schon jemand mit Nazi Propaganda Geld verdient, möchte man wohl auch ein Stück vom Kuchen abhaben. :/

Im Ausland wird solches Vorgehen immer als Verdrängung der Nazi-Geschichte gedeutet. War auch bei Wolfenstein so, da hieß es in England und Amerika, der deutsche Staat duldet keine Spiele in denen deutsche Soldaten die bösen sind und erschossen werden. Gut gemeinte Verbote sind eben selten gut.

[ave]

Hab die Zeitschriften nicht gelesen, also kann nicht sagen wie die Propaganda da aufbereitet ist/wie sie kontextualisiert wird, und ob das Vorgehen des Staates hier gerechtfertigt ist.

Die Zeitungen sind im Wesentlichen einfach Nachdrucke von ausgesuchten Blättern der damaligen Zeit, etwa dem "Völkischen Beobachter", "Der Angriff", "Der Nationalsozialist" usw. Als Bonus wird immer ein Nachdruck eines Posters beigelegt - in Ausgabe 1 eine Karikatur der SPD zur NSDAP (Arbeiter am Hakenkreuz gekreuzigt) und in Ausgabe 2 ein Propagandaplakat der NSDAP zum Reichstagsbrand ("Zerstampft den Kommunismus, zerschmettert die Sozialdemokratie!"). Diese Zeitungen sind im Originalzustand belassen worden, inkl. anderen Artikeln, Werbung, Anzeigen. Die politische Auseinandersetzung zeigt sich im Umschlag (mehrseitig), worin Kommentare von Historikern abgedruckt sind, die einige der Artikel aus den Zeitungen kommentieren und die die politischen Hintergründe hinter Entscheidungen und dem Tenor der jew. Zeitungen erläutern.
Ich kann mir schon vorstellen, was, wenn man den hier wesentlichen wirtschaftlichen Aspekt mit den Verlagsrechten beiseite lässt, die Kritiker ärgert. Wenn man z.B. den oberen Rand vom Nazi-Plakat abschneidet (Zeitungslogo+kurze Erklärung was es ist), bleibt ein Propaganda-Blatt ohne jeglichen Hinweis auf einen Nachdruck übrig. Aber meine Güte... um an solche Plakate zu kommen benötigt man nicht mehr als 3 Klicke durchs Internet. Thiazi.net ist eine Quelle für hunderte digitalisierte Propaganda-Plakate und Flugblätter, das wird nicht verboten - obwohl dort sogar der Kommentar fehlt, man staune.
Und Bayern muss gerade die Moralkeule schwingen. Nach allem was ich gelesen habe, verdient der bayrische Staat nicht schlecht an den Rechten für Nazi-Literatur und -Objekten. 1974 ging der Nachlass von Göring für über 500.000 DM in Privatbesitz über, soviel zu moralischen Einwänden auf staatlicher Seite.

[Wakabayashi]

Aber meine Güte... um an solche Plakate zu kommen benötigt man nicht mehr als 3 Klicke durchs Internet.

Das kann und darf kein Argument gegen ein Verbot sein, egal um was es geht. Im Internet findet man (fast) alles, wenn man nur gezielt danach sucht. Aber deshalb kann man doch nicht (fast) alles erlauben, weil man es "ja eh im Internet findet".

Thiazi.net ist eine Quelle für hunderte digitalisierte Propaganda-Plakate und Flugblätter, das wird nicht verboten - obwohl dort sogar der Kommentar fehlt, man staune.

Von der Seite: "Thiazi.net wird in Texas, Vereinigte Staaten von Amerika, betrieben." -> Da kann der deutsche Staat nichts gegen machen.

Zur Zeitung selbst: Hab es nicht gelesen, finde ein Verbot aber falsch. Gerade für den Geschichtsunterricht wäre es doch wichtig, die Originaldokumente lesen zu können. Das gibt einem ein viel besseres Verständnis dafür, warum einige Leute so gehandelt haben, wie sie es eben getan haben.
Vor einiger Zeit gab es ja mal eine Diskussion, ob man eine kommentierte Version von Hitlers "Mein Kampf" rausbringen sollte. Auch sowas würde ich gutheißen, aus oben genannten Gründen: Es geht nichts über Originaldokumente.

[ave]

Vor einiger Zeit gab es ja mal eine Diskussion, ob man eine kommentierte Version von Hitlers "Mein Kampf" rausbringen sollte. Auch sowas würde ich gutheißen, aus oben genannten Gründen: Es geht nichts über Originaldokumente.

Der Staat Bayern besitzt die Rechte an "Mein Kampf" und gibt diese nicht für eine kommentierte Version frei. Im Jahr 2015 (70 Jahre nach dem Tod des Autors, gesetzeskonform wie bei allen Schriften) läuft das Urheberrecht aus und dann werden wir sehen.

[steelaorta]

Anstatt das ganze Mal richtig aufzuarbeiten, wirds beschlagnahmt. SEHR SEHR ARMES DEUTSCHLAND!! Sie wollen es einfach unter den Tisch kehren...unfassbar!

So extrem schlimm ist es auch nicht. Wir können schon froh sein das auf n24 und n-tv ab und an mal eine halbwegs interessante Doku zum Thema gibt.

Am besten fande ich allerdings "Hitler, aufstieg des Bösen" gestern auf RTL II.
Das ist ja mal allerfeinste, lachhafte Scheisse gewesen